Leon Portz

»Wenn ich die Sprache einmal besser kann, möchte ich gerne mit Leuten in der arabischen Welt in Austausch kommen und für mich herausfinden, wie die Lebensrealitäten sind«

Leon Portz studiert Informatik und Musik. Am LSI besucht er den Kurs Arabisch 1, der mit dem arabischen Alphabet startet. Dabei macht ihn eine Eigenschaft zu einem besonderen Teilnehmer: Leon ist fast blind. 

24.03.2023

Leon, was motiviert dich, die arabische Sprache zu lernen? 

Ich finde den Kulturraum sehr interessant, weil die arabische Welt kulturell direkt an uns grenzt. Es gibt super viele Dinge, die historisch wechselseitig passiert sind, und ich fand es schon immer interessant oder auch traurig, dass es so viel ‚wir‘ und ‚die‘ dabei gibt. ‚Die‘ sind dann irgendwie anders und nicht richtig, und ich fand diese Ansicht noch nie gut. Das hat mich motiviert, mir ein eigenes Bild zu machen. Wenn ich die Sprache einmal besser kann, möchte ich gerne mit Leuten in der arabischen Welt in Austausch kommen und für mich herausfinden, wie die Lebensrealitäten sind. Natürlich ist das auch nur mein Bild, weil es kein richtiges Bild gibt, aber es basiert dann auf meinen eigenen Erfahrungen. Ein anderer Grund: Als vor einigen Jahren vermehrt arabischsprachige Menschen nach Deutschland kamen wollte ich gerne helfen. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich persönlich nur etwas beitragen kann, wenn ich mich verständlich machen kann - deswegen bin ich jetzt hier. 

Wir haben uns viele Gedanken gemacht, wie wir den Unterricht für dich gestalten können, vor allem wegen der arabischen Schrift. Du hast uns gezeigt, dass die Schrift gar nicht so wichtig ist. Wie erlebst du das?

Also, ich lese ja Braille. Diese Schrift wurde in Frankreich entwickelt und basiert auf einem Punktesystem. Die Schrift funktioniert für verschiedene Sprachen unterschiedlich, aber lateinisches und arabisches Braille haben auf jeden Fall Ähnlichkeiten. Das lateinische Basis-Braille habe ich in der Grundschule gelernt. Später musste ich dann auch die Kurzsysteme der Blindenschrift lernen, die in jeder Sprache unterschiedlich sind. Die ersten Fremdsprachen, die ich gelernt habe, waren Englisch und Spanisch, später habe ich auch einmal einen Chinesisch-Kurs gemacht. Bei typischen Übungen mit visueller Komponente, wenn zum Beispiel Gegenstände gezeigt werden, bin ich natürlich raus, das muss man für mich verbalisieren. In der Schule hatte ich aber zum Glück eine Englischlehrerin, die sehr viel Wert auf Sprechen und Hören gelegt hat. Spanisch habe ich in meinem Auslandsjahr in Lateinamerika gelernt. Da konnte meine Sprachlehrerin allerdings nur Spanisch, wir Teilnehmenden aber nicht – das war dann wirklich so ein gemeinsames Gruppenlernen. Im Chinesischkurs wurde neben den Schriftzeichen auch viel mit Hörverständnisübungen gearbeitet. Wenn doch mal etwas rein Visuelles im Unterricht drankommt, ist es, wie hier, eigentlich immer so, dass mir die Lehrenden oder die Teilnehmenden das erklären. Was auch cool war hier im Kurs: Die Einbindung von Gegenständen in den Unterricht. Die haptische Komponente war für mich super.

Wie hilfreich waren unsere Unterrichtsmaterialien, das Lehrbuch und die Lernplattform?

Mit den Materialen und auch mit der Lernplattform LSI.Digital konnte ich gut arbeiten, im Unterricht auch in Kombination mit einer sehenden Person. Das hat hier besser geklappt als in anderen Kursen, in denen ich oft nicht mal ein eigenes Buch hatte, das ich nutzen konnte - da ist man wirklich auf Hilfe angewiesen. Hier habe ich das Gefühl, dass ich selbstständig mit den  Materialien arbeiten und aktiv am Kursgeschehen teilnehmen kann, einfach weil ich eine Übung auch vorlesen kann. In dieser Form habe ich das seit meiner Schulzeit im Sprachunterricht nicht mehr erlebt, großes Kompliment! Eine Sache ist da auch noch ganz wichtig: Dieses Lehrbuch (Arabisch intensiv Grundstufe) ist ja wirklich Euer ‚Baby‘, und das macht nicht nur im Unterricht viel aus. Einfach die Möglichkeit, dass Ihr das Buch als Word-Dokument habt und mir dann eine barrierefreie Version schicken könnt – das war in anderen Sprachkursen bisher nie möglich. Dass ihr selbst die Quelle der verwendeten Lehrmaterialen seid, nimmt ganz viele Reibungsverluste raus.

Danke, das ist für uns schön zu hören! Was du uns hier noch einmal gezeigt hast, war, dass man die Schrift gar nicht überschätzen sollte, weil man sehr viel über das Gehör lernen kann. Das machen wir ja sowieso sehr viel im Unterricht, weil die Schrift noch keine Stütze sein kann. Es fällt aber vielen Teilnehmer*innen nicht leicht, auf diese Stütze zu verzichten. Würdest du sagen, dass man Arabisch auch unabhängig von der Schrift lernen kann?

Für mich ist es eine Mischung. Ich merke schon, dass es mir hilft, die Wörter zu buchstabieren, wenn ich mir bei der Aussprache unsicher bin. In der Regel merke ich mir aber zuerst, wie man es spricht und leite mir aus dem Gesprochenen dann die Schreibweise ab. Ich bin da natürlich ganz anders geschult. Ich mache es halt schon super lange so und höre dann auch auf die Feinheiten. Ich finde, es hat auch was Beidseitiges. Ich profitiere umgekehrt auch total von sehr visuellen Lerner*innen, weil die konzeptuell ganz anders an die Sache rangehen und man sich in der Regel gut ergänzt.

Was würdest du dir von uns zur Optimierung weiterer Sprachkurse wünschen? 

Ich weiß wirklich konkret nicht, was Ihr noch anders machen könntet. Vielleicht an der ein oder anderen Stelle für eine blinde Person fünf Minuten mehr Erklärungen einplanen, aber sonst… das ist für mich auch untypisch, dass mir keine Dinge einfallen, die man konkret verbessern kann.

 

Interview: Michaela Kleinhaus, Jörg Siegeler
Bearbeitung: Paulina Isfort